Vom 22. bis zum 26. November 2023 fanden diese Woche die kurdischen Filmfesttage in Hamburg statt. Mit insgesamt 19 Filmen, mitunter Dokus, Short-Films und anderen Filmen, wurde innerhalb von 5 Tagen die Vielfalt der kurdischen Animation auf die Leinwände der hamburgischen Kinos projiziert.
Das Motto der diesjährigen Filmtage war das Konzept der „neuen Heimat“ und öffnete verschiedenen Themen und kurdischen Künstler*innen die Tür für ihre kreative Auslebung und gab ihnen ein seltenes Sprachrohr, um ihre Perspektiven über das kurdische Leben in Bakûr, Rojhelat, Rojava und auch im Exil erzählen zu können.
Die Filme griffen über die verschiedensten Themen und verdeutlichten uns damit nochmals, dass die Geschichte Kurdistans und der Kurd*innen eines der reichsten und multiplexesten ist. Sowohl im positiven, als auch im negativen Sinne. Mit einer Totalität von 19 Filmen wurde ein minimaler Teil der kurdischen Realität gedeckt werden können.
Jede einzelne Ausstrahlung war prägend, emotional und hat nachhaltig auf alle Zuschauer*innen eine große interne Wirkung ausgelöst. Man verließ den Kinosaal mit endlosen Eindrücken, Meinungen, aber auch Fragen.
Am Mittwoch startete das Programm mit einer Reihe von Dokumentarfilmen. „The mountains, a feminine narration“ erzählt die Geschichte der sogenannten „Kolbaren“, die auf dem kurdischen Grenzgebiet zwischen dem Irak und dem Iran hausen und auf illegaler Weise verschiedenste Güter wie Klamotten, elektronische Geräte, aber auch größere Waren wie Fernseher transportieren und dafür sich auf extremst lebensgefährliche Passrouten begeben. Sie laufen stundenlang über eisige Wege auf und durch die Berge zu jeder Wetterlage. Die Szenen und die Dokumentationen lösten bei uns allen Zuschauer*innen Gänsehaut aus. Minderjährige Kinder, Familienväter und alte, fragile kurdische Männer, die bis zu 50 Kilogramm auf ihrem Rücken tragen und durch die Berge kämpfen, weil ihnen keine andere Wahl bleibt, als ihr Leben für ihre Existenzsicherung zu gefährden. Sie tragen meist nur eine Winterjacke und leichte Klamotten, um weniger psychische Last auf ihrem Körper zu haben, mehr tragen zu können und noch in der Lage sind ihrer Ermüdungen Resistenz leisten zu können. Viele der Kolbare sterben auf diesem Wege. Ein Ausrutscher und ihr Leben ist vorbei. In der Dokumentation wurden auf der Spitze eines Berges auf der Route zwei junge verstorbene Männer gefunden, die während ihrer Pause durch die Kälte erfroren sind. Zusätzlich dazu geht einer der größten Gefahren von der iranischen Grenzpolizei aus, die rigoros auch minderjährige Kolbare erschießen. Mit dem Titel des Dokumentarfilms, der eine feminine Narration vorausstellt, liegt der inhaltliche Fokus auf die Auswirkung des Kolbar-Lebensstils auf die Familien, spezifisch auf die Mütter oder Ehefrauen. Sie verlieren ihre Söhne, heilen nie vom Schmerz, vermissen sie oder fürchten sich tagtäglich jede Minute um sie. Sie versuchen sie davon abzuhalten, wissen aber gleichzeitig, dass es keinen anderen Ausweg oder Möglichkeit für ihr Überleben gibt. „Ich brauche kein Taschengeld mehr für das Mittagessen in der Schule, ich nehme mir etwas Kleines einfach mit. Gib das Geld Baba, damit er nicht mehr auf die Kolbar-Route muss.“ sagt der Sohn eines Kolbars und weint dabei.
Die Filme handelten über Freundschaften, über Liebe, über Chaos, für viele war jedoch am prägendsten die Auswirkungen der kurdischen Herkunft auf die Familienkonstellation. In dem Kurzfilm „Baby Ant“, der auch mit einem Preis am Ende der Woche geehrt wurde, spielt sich die Geschichte in den vier Wänden einer Mutter und ihrem Kind in der Türkei ab. Die Regisseurin Derya Uygurlar erzählt hier narratologisch von ihren eigenen Erlebnissen ihrer Kindheit als kurdisches Kind, dessen Vater vom türkischen Staat verhaftet wurde. Die Mutter schuftet pausenlos über den Tag hinweg, verlässt kaum die Wohnung, um mit ihrer Arbeit sich und ihr Kind über Wasser halten zu können und hat dadurch keine gesunde Beziehung zu ihrer Tochter. Denn diese möchte ihren Vater sehen, was ihr nicht gewehrt wird. Sie streiten sich und sind über die ganze Erzählung hinweg in einer trüben Atmosphäre. Deryas einziger Freund war eine Ameise, die sie in eine Dose versperrt hat und ihm immer Geschichten erzählt. Die Klausel der Geschichte erklärt die Regisseurin selber: Der türkische Staat übt mit der Verhaftung Gewalt auf den Vater aus. Dieser wiederum hat Konsequenzen auf die Mutter, sie sperrt sich als Konsequenz ebenfalls zu Hause ein und übt somit eine Gewalt auf ihre Tochter aus. Im letzten Schritt trägt die Tochter diese Gewalt auf die Ameise, die sie in dem Glas gefangen hält. Somit entsteht ein Teufelskreis der Gewaltausübung und der Gefangenschaft.
Dies sind nur kurze Schilderungen und inhaltliche Wiedergaben einzelner Filme. Jeder dieser Filme hat jedoch einen wichtigen emotionalen Kern und somit seinen eigenen Charakter und Appell. Die Filmfesttage werden von einem Team von über 40 Akademiker*innen, Student*innen und Mitwirkend*innen jedes Jahr aufs Neue auf die Beine gestellt und sind genauso für viele Kurd*innen aus Hamburg und deutschlandweit eine seltene Gelegenheit sich mit ihrer Kultur intensiv zu befassen, zusammenzukommen und im Kollektiv sich auszutauschen. Die Veranstaltungen endeten nicht nur bei den Filmen, sondern war die Chance sich in einer familiären und gemütlichen Atmosphäre wiederzufinden.
Wir bedanken uns herzlich bei dem Team, das sich für dieses aufwendige Projekt engagiert hat und dies jedes Jahr auf Neue tut. Ebenfalls bedanken wir uns bei den talentierten Regisseuren, die sich für ihre kurdische Identität auf künstlerischem und kreativem Wege einsetzen und diese bis nach Deutschland verbreiten und warten gespannt auf das nächste Jahr der kurdischen Filmfesttage in Hamburg.
Sehr beeindruckender Artikel
Schade das ich nicht dabei sein konnte.
Jin Jiyan Azadî