Die kurdische Sprache und ihr Kampf nach Existenz

Türkische Verfassung Artikel 42, Abs. 9
„Den türkischen Staatsbürgern darf in den Erziehungs- und Lehranstalten als Muttersprache keine andere Sprache beigebracht und gelehrt werden als Türkisch.“

Der 21-jährige Sedat Akbaş telefonierte in Istanbul mit seinem Freund auf kurdisch. Er wusste nicht, dass dieses Telefonat durch einen Angriff sein Leben beenden würde.

Der Sänger Selim Serhed arbeitete über Jahre in einer Bar. Für jenen Abend hatte er den Wunsch auch auf kurdisch etwas zu singen. Nicht lange Zeit später wurde er vor Ort erbarmungslos umgebracht.  

Burhan Sakçı und sein Sohn Kadir entschlossen sich zu einem Vater-Sohn Spaziergang. Sie liefern herum, unterhielten sich gemeinsam, und das auf kurdisch. Das sollte der Grund für ihren Tod sein. Mit einem rassistisch-motivierten Angriff, zückte ein türkischstämmiger Mann seine Waffe und schoss beide nieder. Kadir überlebte knapp, hat seit dem Tag aber keinen Vater mehr.

Barış Çakan traf sich eines Tages mit seinen Freunden im Park zum Feierabend. Sie hatten Spaß, unterhielten sich, aßen und hörten sich zu der guten Stimmung kurdische Musik an. Barış wurde für diesen Akt im Park körperlich misshandelt.

Fikret Aydemir lief auf der Straße und sprach in der Öffentlichkeit auf kurdisch. Er wurde daraufhin auf brutalste Weise von einem türkischen Soldaten, der sich in seiner Nähe aufhielt angegriffen.

Şirin Tosun und Mahsun Zeren liefen auf der Straße und winkten einem Fahrzeug zu, dessen Kennzeichen aus einer kurdischen Stadt stammte. Daraufhin eröffneten 8 türkische Männer als sofortige Rache-Reaktion das Feuer auf sie, schossen mehrere Male zu, durchlöcherten sie regelrecht und beendeten auf brutalster Weise ihr Leben.

Oft fragen sich Außenstehende, warum manche Kurd*innen ihre kurdische Muttersprache nicht sprechen, sich kaum darin artikulieren oder gar zu ihrer kulturellen Identität stehen. Die oben aufgeführten Fälle sind nur vereinzele Beispiele aus den letzten Jahren. Jede einzelne dieser Geschichten ist schwer zu glauben oder mit seinem Welt-/ Menschenbild zu vereinbaren. Doch sie sind reale Geschehnisse und zeigen auf brutale Weise: Kurdische Kinder und Zivilist*innen sind mit der minimalsten Auslebung ihrer kurdischen Identität potentiell dem Tod ausgesetzt. Die Mörder sind bekannt, ihre gerechten Strafverfolgungsprozesse fehlen bis heute.

Die kurdische Sprache ist aufgrund der intensiven Assimilationspolitik der Kolonialstaaten gefährdet. In der psychischen Kriegsführung gegen die kurdische Bevölkerung spielt auch Sprache, ihr Verbot, ihre Sanktionierung und ihr Aussterben eine Kernrolle bei der Aufrechterhaltung kolonialer Strukturen. Sprache garantiert uns in einer bestimmten Weise Selbstbestimmung. Es bringt Gruppen kollektiv zusammen, ist das fundamentale Sprachrohr der kurdischen Geschichtserzählung stärkt das Selbstbewusstsein in unserer Person: Als Konsequenz ist das Entreißen dieses verbindenden Elements einer Gruppe einer der wichtigsten Homogenisierungselemente und der Garant für das Auslöschen der kurdischen Kultur und Existenz.

Bis in die 90’er Jahre war es in der Türkei rechtlich verboten die kurdische Sprache zu sprechen. Kurdische Namen und sogar die Nutzung von kurdischen Buchstaben brachte strafrechtliche Folgen mit sich. Von unseren Familien, kurdischen Müttern/Vätern und Großeltern gibt es endlose Erzählungen und Beispiele dafür, welche Folgen dieses Verbot hatte. Kurd*innen wurden auf offener Straße von türkischen Soldaten niedergeprügelt und gefoltert, wenn sie unaufmerksam waren. Ein einziges Wort auf kurdisch reichte hierfür aus. Die Schule spiele hier ebenfalls eine elementare Rolle. Es gab nicht viele Schulen in kurdischen Provinzen, die typischen Geschichten der stundenlangen Märsche durch den Schnee, um zur Schule zu kommen, resultieren hieraus. Den Kindern wurde vom Elternhaus kurdisch beigebracht, der Großteil von ihnen waren Analphabet*innen und konnten kein türkisch sprechen, somit die Kinder auch nicht. Sie kamen in die Schule und wurden geschlagen, wenn sie kurdisch sprachen. Dies ist kein Paradox, sondern eine bewusste Indoktrinierung der Konsequenzen die kurdische Identität auszuleben von einem sehr jungen Alter aus, um eine erfolgreiche Assimilierungssozialisation bei den heranwachsenden Generationen umzusetzen.

Heute sehen die Praxen nicht anders aus. Kurd*innen erleben gezielte Schikanen und mehrere Todesfälle. Der Vorfall des letzten Jahres in Istanbul, wo der kurdische  Straßensänger Cihan Aymaz in Istanbul blutig niedergestochen wurde für das Singen kurdischer Lieder. Die meisten Kurd*innen, die sich in den Kolonialländern aufhalten, geben ihren Kindern immer noch zwei verschiedene Namen. In Bakûr ist es üblich, auf dem Pass einen typisch türkischen zu haben und im Privaten den „Richtigen“. Der Staat nutzt ebenfalls universelle Emotionen wie Elternliebe und ihr Wunsch, ihre Kinder in Sicherheit zu sehen. Sie wissen, was lediglich ein kurdischer Name auf dem Pass mit sich bringt und wie es den Untergang ihres Kindes im Land sichern kann.

Der Staat spielt mit Furcht und Angst und verwurzelt es in die kurdische Gemeinschaft. Die kurdische Sprache wird von mehreren Seiten und Wegen erstickt. Um die staatlichen Repressalien zu vermeiden, wurden in vielen Familien der neuen Generationen kurdisch mit der türkischen Kolonialsprache ersetzt. Auch ist in jedem institutionellen Rahmen die kurdische Sprache strengstens verboten.

Von den öffentlichen Diensten wurde die kurdische Sprache ausgeschlossen:

Kurdisch-sprachige Zeitungen, kurdisches Kinderfernsehen, Kulturvereine, kurdische Institutionen, die sich mit der kurdischen Sprache befassen wurden durch staatlich eingeleitete Verordnungen verboten. Sogar Dienste wie die KADES-Anwendung, die Opfern von häuslicher Gewalt Betroffenen helfen, werden auf türkisch, persisch, arabisch, englisch, französisch, ja sogar auf russisch angeboten, aber explizit nicht auf kurdisch oder armenisch. In Schutzdienstleistungen, die sich meist an Frauen richten, kamen von Kommunalverwaltungen und den wenigen kurdischen Bürgermeister*innen, die noch an ihrem Posten stehen, Bemühungen und Versuche Dienste auch in kurdischer und anderer Minderheitensprachen anzubieten, da viele Personen überhaupt kein türkisch sprechen können und bleiben somit in ihrer Misere im Stich gelassen.

Diese tagtägliche Realität in den Kolonialländern beeinflusst in gleicher und sogar stärkerer Weise das Leben der Kurd*innen im Exil. Vor allem im Kontext der Bakûri Kurd*innen wird größtenteils nur die türkische Sprache beigebracht. Mit den endlosen Repressalien seitens des türkischen Staates auf die kurdische Bevölkerung, wird die kurdische Sprache global immer weniger präsent und schrumpft im Sprachgebrauch. Natürlicherweise sieht es im westlichen Rahmen nicht anders aus.

An dieser Stelle ist ein weiterer äußerst relevanter Punkt, dass Kurd*innen, vor allem in der jüngsten Generation, im Schatten der türkischen Community stehen. Durch das Versagen der deutschen Regierung, haben sich auch hier massiv rassistische, hyper-nationalistische und kurdenfeindliche Ülkücü-Netzwerke der grauen Wölfe durch islamisch-türkische Dachverbände etabliert.

Die Unterdrückung und Verfolgung der Kurd*innen und anderer Minderheiten wie Armenier*innen in Deutschland übersetzt sich in tag-täglichen Morddrohungen, Belästigungen, Angriffe, Körperverletzungen und auch Todesfälle. Der deutsche Staat versagt immer wieder auf das Neuste, geflüchteten Kurd*innen Schutz zu gewähren. Auch hier ist der zentrale Punkt die Furcht.

Im jungen Alter werden deutsch-türkische Bewohner mit dem genozidalen Gedankengut der grauen Wölfe indoktriniert und sind für uns Alltag:

„Sag draußen nicht unter fremden Menschen, dass du Kurde bist.“ 

„Sprich kein kurdisch.“ 

„Gefährde dich nicht, wir haben so viel gesehen und erlebt, wir wissen zu was sie fähig sind. Stell dich selbst immer an erster Stelle.“

sind Aussagen, die fast jede/r Kurd/-e/-in in seiner Lebenslaufbahn schonmal seitens der Eltern hören musste.

https://thekurdishproject.org/history-and-culture/kurdish-history/

Unter den offiziell eingetragenen Einwander*innen aus der Türkei nach Deutschland, sind über 1/3 Kurd*innen. Dass diese Gründe nur an dem Gastarbeiterabkommen lag, ist eine naive und nicht realitätsdeckende Darstellung. Diese Jahre bildeten für Kurd*innen ebenfalls dessen der Massenrepression nach dem Militärputsch. Sie fanden einen Weg zu flüchten und kamen deshalb nach Deutschland.

Und obwohl die größte Diaspora-Community der Kurd*innen in Deutschland zu finden ist, werden unsere Stimmen hier in gleicher Weise erstickt. Seien es die DITIB-Moscheen, die aktive anti-kurdische Propaganda betreiben, der Islamismus, der türkische pan-Nationalismus oder die sunnitische Dominanzkultur. All diese Faktoren spielen dazu ein, dass viele junge Kurd*innen keinen Mut haben an erster Linie zu ihrer Identität zu stehen, geschweige denn ihre Sprache zu sprechen.

Deshalb ist es für uns umso wichtiger, diese Strukturen und Unterdrückungsmechanismen zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. „Existence is Resistance“ trifft auf höchstem Grade den Kurd*innen zu. Denn für zahllose Machthabende ist die kurdische Existenz seit Jahrhunderten ein Dorn im Auge und soll aus der Oberfläche radiert werden.

Für die psychologische und gesellschaftliche Selbstbestimmung kann die kurdische Sprache von allen Kurd*innen über den vier Kolonialländern und in der Diaspora ebenfalls als machtvolles Element und Mittel einer Gegenhegemonie dienen. Für die Wahrung der kurdisch-kulturellen, ethnischen Identität ist sie unentbehrlich. Die kurdische Sprache ist historisch einer der ältesten Sprachen in mesopotamischer und anatolischer Geschichte und ist einer der reichsten mit knapp 48 Unterdialekten. Die wichtigste Unterteilung ist jedoch in Kurmancî (Nordkurdistan, Bakûr/ Südkurdistan Bashur), Soranî (Südkurdistan, Bashur) und Zazakî (Nordkurdistan, Bakûr). Natürlich kann hier keine strikte geografische Kategorisierung für die Sprachverteilung getätigt werden, denn mit der Diversität der kurdischen Bevölkerung gibt es immer ein Ineinandergreifen der Sprache oder Ausdrücke. „Sprache verbindet“, in Krisenzeiten der andauernden Angriffe ist diese Klausel von äußerst wichtiger Bedeutung: Die kurdische Sprache ist der Nukleus der kurdischen Kultur und muss lebendig gehalten werden !

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aqrah,_Iraqi_Kurdistan.jpg

2 Kommentare zu „Die kurdische Sprache und ihr Kampf nach Existenz“

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