Berlin: Wie die kurdische Freiheitsbewegung in Deutschland erstickt wird

Es ist der 18.11.23, ein Samstag und wir sind nach der Busfahrt, die stundenlang mit kurdischen Liedern belebt wurde, in Berlin angekommen. Aus ganz Deutschland haben wir uns heute als Diaspora-Community gegen das Betätigungsverbot der kurdischen Arbeiterpartei, kurz PKK, und gegen die Kriminalisierung aller Kurd*innen zusammengefunden. Zu Beginn befinden wir uns am Oranienplatz und hören uns nach einer Schweigeminute die erste Kundgebung über die Gefallenen şehîds (Märtyrer) an. In der Menge wird der Halay (traditioneller kurdischer Volkstanz) getanzt, es läuft Musik, kurdische Freund*innen aus ganz Deutschland sehen, und grüßen sich, Menschen unterhalten sich und es ist eine positive hoffnungsvolle Stimmung der kollektiven Solidarität und Zusammenfindung. Aus der Ferne hören wir Geschrei und Brüllen, wir verstehen nicht ganz woher es kommt, später wird uns erzählt, dass da die ersten willkürlichen Festnahmen seitens der Polizei begonnen hätten. Friedliche Demonstrant*innen und Ordner, die über den ganzen Tumult hinweg Ordnung geschaffen haben, wurden mit Knüppeln angegriffen und aus den Boden geschlagen. Trotz der heftigen körperlichen Angriffe, stehen sie wieder auf, reagieren nicht auf die Provokation, versuchen sich zurückzuhalten, denn die Demo hat nicht mal begonnen.

Wir marschieren los, es werden pausenlos politische Parolen gerufen „JIN JIYAN AZADI!“  „BIJI BERXWEDANA ROJAVA!“  „TERRORIST ERDOGAN!“. Es fährt in der Menge ein Wagen mit einer Sprecheranlage, wo eine weitere Kundgebung während des Marsches läuft, es wird lebendige kurdische Musik gespielt, Genos*innen tanzen dazu. Die Demonstration ist so bunt wie es nur geht. Die kurdischen Flaggen, die traditionellen kurdischen Kleider und Tücher und die Diversität der Teilnehmenden machen es zu einem einzigartigem Moment des Zusammenkommens.

Alle 3 Meter begleiten und deutsche Polizisten, halten penetrant ihre Kameras auf uns von jedem Winkel, jeder Ecke und jeden Menschen. Mit über 4000 Teilnehmer*innen ist die Straße nicht breit genug und Menschen werden vereinzelt auf die Bürgersteige gedrängt. Die Ordner kennen das impulsiv reaktionäre Verhalten der Polizei, stellen sich einen halben Meter vor die Polizist*innen und weisen jeden darauf hin auf der Straße zu bleiben. Ich schaue nach rechts und sehe wie ein Polizist einen älteren Mann an der Jacke zieht und brüllt „Entweder hältst du dich an die Regeln oder du verziehst dich nach Hause!“. Der Mann findet einen Platz unter uns, ich spreche ihn an, er sei für ein paar Sekunden auf dem Bürgersteig gelaufen.

Wir kommen am endgültigen Ziel an, es läuft erneut Musik, Menschen tanzen und parallel läuft die Kundgebung. Im Gebäude neben uns haben sich Polizist*innen am Fenster positioniert und filmen pausenlos die ganze Menschenmenge. Während der Kundgebung marschieren mehrere Polizist*innen in einer Linie in die Menge, verteilen sich und schubsen willkürlich Menschen in der Menge rum, unter denen sich auch Junge und Kleinkinder befanden.

Es entsteht ein Chaos, wir sehen wie sich die Menge in verschiedene Richtungen bewegt und hören wie die Menge die Polizei ausbuht: Als gezielter Provokationsakt verhafteten sie über 40 Demonstrierende mit körperlichen Angriffen, um den Großteil nach einer gewissen Zeit auch wieder freigelassen. Im perplexen Zustand appellieren die Sprecher*innen sich nicht den Provokationen zu beugen, nicht einzuschreiten, um den Ziel der Polizei Begründungen für weitere Einschritte zu haben, zu verhindern und ihrer Taktik entgegenzukommen. Es bleibt bei lauten politischen Parolen.

Hinten in der Menge sehe ich eine Genossin, die auf dem Boden liegt und an ein Beatmungsgerät angeschlossen wurde. Vor ihr stehen über 5 Polizist*innen, reden und lachen miteinander. Wir fragen einen Genossen, der mit ihr marschiert ist, was passiert ist. Die Polizei schubste Demonstrant*innen mit voller Kraft in hintere Reihen, eine Freundin viel auf den Boden und verletzte sich dabei. Die Genossin fragte, was das werden sollte und schubste den Polizisten zurück. Daraufhin eskalierte es, sie schlugen mit ihren Knüppeln pausenlos mehrere Male auf die Köpfe der Demonstrant*innen, packten sie zur Verhaftung und legten sie auf den Boden. Die Genossin war eine von ihnen. Sie wurde an ihrem Nacken gepackt, verspürte Schmerzen und konnte zusätzlich sekundenlang nicht atmen, da ihr der Mund und die Nase mit voller Kraft zugedeckt wurden. Sie und viele weitere erlitten durch diese gewalttätigen Eingriffe Panikattacken. Es sind Szenen und Momente, die wir Kurd*innen als kollektives Traumata-Bild in uns tragen und durch die intensiven Repressalien in Bakûr, Kurdistan kennen, aus denen unsere Eltern wegen dieser staatlichen Gewalt als einer der Gründe nach Deutschland geflohen sind.

Der Polizist, der die Panikattacke ausgelöst hat, steht direkt neben ihr und lacht. Meine Genossin schaut mehrere Male zu ihm hoch und kriegt keinen Rhythmus in ihre Atmung. Wir nähern uns ihm und fragen, warum er noch neben ihr sei und dass sich ihre Lage dadurch verschlechtern kann. In einem angreifenden Ton reagiert der Polizist neben ihm und fragt penetrant „Woher weißt du denn bitte, dass er das war??“ Als wir meinten, dass wir es nicht mit einer hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit bezeugen können, da sie nicht ansprechbar ist, aber der Genosse den Polizisten kennt und dabei war, bekamen wir als Antwort nur „ Ja sieht du, ihr habt keine Ahnung, weil euch als ganze Gruppe hier an Logik fehlt!“

Die friedliche und wichtige Demo für alle Kurd*innen der Diaspora war von Anfang bis Ende geprägt durch polizeiliche Interventionen und einer Unverfrorenheit. In den 30-Jahren des rechtlichen Betätigungsverbots und der damit einhergehenden Razzien, mehrjährigen Haftstrafen, Anklagen, Verbote unserer kurdischen Verlage und Medien ist die Gewalt der Exekutiven gegen Kurd*innen als gesamte Gemeinde kein Neuland.

Jedoch im Kontext der völkerrechtswidrigen Angriffe auf Nord-Ost Syriens (Rojava) seitens des türkischen Staates und der Massenmorde, zeigt sich an diesem rechtsstaatlichen Vorgehen von Deutschland das Demokratiedefizit und das wahre, interessensgeleitete Gesicht. Während Erdogan am gleichen Tag durch den Bundeskanzler hofiert wurde, türkische Rechts-Extreme am Abend mit Wolfsgrüßen der hyper-nationalistischen Gruppe der grauen Wölfe durch die Straßen in Berlin liefen, wurden wir Kurd*innen bei unserem Versuch auf grundlegende Menschenrechte aufmerksam zu machen, brutal angegriffen und wortgemäß niedergeschlagen.

4 Kommentare zu „Berlin: Wie die kurdische Freiheitsbewegung in Deutschland erstickt wird“

  1. Selbst ich als Deutsche wurde von der Polizei für eine Stunde festgehalten, es sollten zwei Anzeigen gegen mich kommen ,nur wegen tragen der kurdischen Tracht mit Zeichen der YPI,,als ich meinte das hätte vor drei Jahren doch nicht geklappt, ich lasse mich nicht einschüchtern,,wurde mir dann nach ca eine Stunde gesagt das keine Anzeigen gegen mich gemacht werden,,da der angebliche Ausruf der Polizei zum Verbot von Zeichen erst nach meiner Festnahme kam …
    Es war reine Schikane von der Polizei,,als ich später zu einem Polizisten meinte ,,das die Polizei wohl im Auftrag von Erdogan handel ,sagte der doch tatsächlich,,,Ja

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    It’s truly disheartening to hear about the situation in Berlin and the suppression of the Kurdish community’s voice. It’s important for any democratic society to allow for peaceful protests and expressions of solidarity.

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