Aufruf zum Waffenstillstand: Beginn von einem neuen Friedensgespräch?

Vorbemerkung: Am 02.03.2025 wird auf dem freien Radiosenderkollektiv Radio Azadi ausführlich über die politischen Entwicklung dieser Woche diskutiert, der Aufruf von Öcalan eingeordnet und über mögliche Auswirkungen auf den Krieg in Bakûr erläutert. Schaltet um 17 Uhr über folgenden Link zur Live-Sendug: https://www.fsk-hh.org/

In der seit über 40 Jahren andauernden Widerstand, den die PKK gegen die Aggressionen des türkischen Staates führt, wurden von Abdullah Öcalan und weiteren Repräsentanten der PKK immer Versuche eingeleitet, Friedensgespräche zu führen, die von der Türkei jedoch immer einseitig abgebrochen wurden. Es stellt sich die Frage, was ein effektiver Friedensprozess braucht, ob und unter welchen Bedingungen dieser möglich ist und welche Rolle der internationalen Gemeinschaft dabei zukommt.

In der Geschichte des Konfliktes in Kurdistan wurden von Abdullah Öcalan und der PKK vier Mal Friedensgespräche eingeleitet. 1993 erklärte Öcalan zum ersten Mal einen einseitigen Waffenstillstand, ab 2009 wurden die Verhandlungen des Oslo-Prozesses von der türkischen Regierung abgebrochen und eine intensive Phase der Repression gegen das kurdische Volk begonnen. Der größte Friedensprozess ereignete sich von 2013 bis 2015, in dem die Türkei zustimmte, einen Friedensplan auszuarbeiten, er jedoch nach den Wahlerfolgen der HDP den Krieg in Kurdistan eskalierte, eine Verhaftungswelle von Oppositionellen begann und hunderte von kurdischen Dörfern seitens des türkischen Militärs in Brand gesetzt wurden. Es lässt sich zunächst eine Sache festhalten: Der türkische Staat folgt stets einem bestimmten Schema; Die AKP/MHP Koalition lässt sich auf Friedensgespräche nur ein, wenn sie aus diesen profitieren kann. Auch in dieser neuen Phase der Verhandlungen steht der mittlere/nahe Osten in Anbetracht des Krieges im Gazastreifen, den israelischen Angriffen auf den Libanon und dem Kugelaustausch zwischen Israel und dem Iran vor einem Neustrukturierungsprozess. Aus diesem Zustand zieht der türkische Staat taktisch eine Bilanz und fürchtet, dass mit einer Eskalation auf türkischen Nationalboden kurdische Autonomiegebiete ähnlich wie in Rojava aufgebaut werden können. Die PKK ist und war die längste, wirksamste und umfangreichste Aufstandsbewegung in der Geschichte der türkischen Republik. Die einzige Hürde für einen nachhaltigen Friedensprozess ist und war dabei niemals die PKK, sondern die türkische Regierung, die stets nach geopolitischen Interessen handelt und nicht an politischer Macht und Einfluss verlieren will.

Wie muss ein Friedensprozess aussehen?

Damit ein effektiver und nachhaltiger Friedensdialog stattfinden kann, müssen zunächst zentrale Grundbedingungen geschaffen werden. Die türkische Armee muss ihre Militäroperationen gegen kurdische Gebiete in der Türkei, Syrien und dem Irak einstellen, da ohne einen Waffenstillstand keine Basis für Verhandlungen existiert. Gleichzeitig muss die juristische und politische Kriminalisierung kurdischer Politikerinnen, Journalistinnen und Aktivistinnen beendet werden. Die HDP (heute DEM-Partei) und andere kurdische politische Bewegungen müssen ohne staatliche Repression arbeiten können, und politische Gefangene, darunter auch Abdullah Öcalan, müssen Zugang zu rechtlicher Beratung und politischen Gesprächen erhalten. Darüber hinaus muss die Türkei offiziell anerkennen, dass Kurdinnen eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte besitzen, die rechtlich geschützt werden müssen und die Anerkennung ihrer kurdischen Identität verfassungsrechtlich abgesichert werden muss. Eine verfassungsrechtliche Anpassung wäre hierfür erforderlich. Zudem müssen internationale Akteure ihre finanzielle und militärische Unterstützung für den türkischen Angriffskrieg beenden. Staaten wie Deutschland, die USA und die EU dürfen keine Waffen mehr an die Türkei liefern und keine wirtschaftliche Unterstützung für Menschenrechtsverletzungen gewähren, da ohne eine internationale Sanktionierung keine Aussicht auf Deeskalation absehbar ist.

Die Rolle der internationalen Staaten

Damit ein neuer Friedensprozess nicht wie in der Vergangenheit scheitert, muss er international organisiert und kontrolliert werden. Neutrale Vermittler wie die UNO, Norwegen oder die Schweiz sollten den Prozess moderieren und als Garanten fungieren. Eine klare Struktur mit einem langfristigen Verhandlungsfahrplan wäre erforderlich. Dabei könnte sich die PKK schrittweise aus der Türkei zurückziehen, während die türkische Regierung konkrete politische Reformen umsetzt. Gleichzeitig müssten Sicherheitsgarantien für Kurdinnen geschaffen werden, sodass ein unabhängiges Gremium sicherstellt, dass sich beide Seiten an die Vereinbarungen halten. Ein möglicher langfristiger Lösungsweg könnte in einer föderalen Struktur bestehen, in der Kurdinnen demokratische Selbstbestimmung innerhalb der Türkei erhalten. Das föderale System Rojavas ist das einzige Modell, was eine langfristige friedliche Koexistenz aller religiös-ethnischen Völker garantieren kann.

Die Geschichte der Friedensgespräche zwischen der Türkei und der PKK hat immer wieder bewiesen, dass mit Zugeständnissen und obligatorischen Versprechungen der Türkei gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft die Wahrscheinlichkeit für einen erfolgreichen Friedensprozess erhöht wird. Ohne jegliche internationale Vermittlung, wirtschaftlichen Druck und Sicherheitsgarantien für Kurd*innen wird kein nachhaltiger Friedensprozess möglich sein. Die EU, die USA und die UNO müssen endlich ihre Doppelmoral beenden und klare Konsequenzen für die Türkei festlegen, wenn sie erneut gegen Friedensabkommen verstößt und Menschenrechtsverletzungen begeht. Nur durch verbindliche internationale Maßnahmen kann eine langfristige Lösung zwischen der Türkei und der PKK Realität werden.

Die Hauptbedingung für einen Friedensgespräch ist die physische Freiheit von Abdullah Öcalan. In seiner Rede forderte er die PKK-Führung dazu auf, einen Kongress einzuleiten. Dafür gebraucht es jedoch einen direkten Kontakt zwischen Öcalan und den kurdischen Einheiten, da er die Hauptfigur für eine politische Ausarbeitung mit dem türkischen Staat für das gesamte kurdische Volk darstellt. Als Gründer und philosophischer Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung sah er den fundamentalen Existenzgrund der PKK in ihrer Selbstverteidigung, der Aufrechterhaltung der kurdischen Identität und ihrem Ziel nach Frieden :

Bis zum Schluss habe ich erklärt und vorgeschlagen, dass nicht nur die territoriale und politische Integrität der Türkei, sondern auch zusammen mit allen benachbarten Völkern und Ländern, wenn es möglich ist, ein Miteinander im Einklang mit dem Geist des Gesetzes wertvoller und vorzuziehen sein kann als der größte zu gewinnenden Krieg. Solange alle, alle Seiten die Kraft zeigen, sich an die universellen Konzepte des Rechts zu halten. Sobald dies erreicht ist, ist die Einheit mit allen Völkern und Ländern mein Ideal. Ich habe diese Position ohne Zögern eingenommen. Ich habe immer an eine legitime Verteidigung geglaubt. Ich bin auch davon überzeugt, dass dies ein Naturgesetz ist. Auch wenn die Aggression in der Natur liegt, ist das Wesentliche das Naturgesetz des Seins. Das ist Selbstverteidigung. (…) Der gegenwärtige Zustand der legitimen Verteidigung der PKK ist absolut notwendig. Ich glaube, dass sie für alle notwendig ist, für alle Nachbarvölker und für die Region, bis der Weg für eine universelle Rechtsordnung und eine selbstbestimmte Einheit geebnet ist. Was dann geschieht, hängt von der Haltung des betreffenden Staates ab. Wenn die Angriffe die legitime Verteidigung erzwingen, wird dies zur Entwicklung eines Klimas der Gewalt führen. Ein Angriff auf die legitime Verteidigung bringt dem Staat nichts, sondern stärkt die legitime Verteidigung. Die richtige Haltung ist es, die Tür zur vollständigen Demokratisierung offen zu lassen und die Lösung aller Probleme durch demokratische Kompromisse zu begünstigen.“

-Abdullah Öcalan, in: Urfa Savunması

2 Kommentare zu „Aufruf zum Waffenstillstand: Beginn von einem neuen Friedensgespräch?“

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