Duzgîn Baba und die dêrsimi Religionsgemeinschaft

… „ Ya Duzgîn Baba, was ist in Dêrsim los? Sieh nur, was sie mit Dêrsim gemacht haben. All unsere Werte werden mit den Füßen getreten, wir können unsere Heiligen und unsere Stätte nicht mehr besuchen, die Neuen (Angesiedelte Türk*innen) erkennen unseren Pir nicht an (…) Diejenigen, die uns mit bösen Augen ansehen, die wir nicht kennen, kommen und schlagen ihre Zelte in unseren Bergen auf und beschlagnahmen sie. Einige von ihnen verließen das Land, der Rest von uns konnte in seinem eigenen Land nicht weiter produzieren, wir konnten nicht in unseren Häusern schlafen. Wohin sollen wir gehen? Von wem sollen wir Hilfe erwarten? Sag, warum habt ihr uns allein gelassen? „….

Beschilderungen auf dem Weg Richtung Duzgîn Baba

Die nordkurdische Stadt Dêrsim ist eine einzigartige Provinz mit vielen geschichtlichen Besonderheiten, sowohl in seiner geografischen Struktur, als auch in dem Kontext der Glaubensrichtung. Von allen vier Seiten ist die Stadt von Bergen umgeben und durch diese außergewöhnliche natürliche Land-Form hat sie im Laufe der Geschichte viel Einwanderung erlebt. Diverse Forschungen zeigen an dieser Stelle auf, dass die Geschichte von Dêrsim bis in das späte neolithische Altertum zurückreicht. Die ideologische und natürliche Zusammensetzung der Stadt spiegelt sich ebenso im Glauben wider. Einer der Kernaspekte für die Glaubensgemeinschaft sind die heiligen Stätte, die jährlich besucht werden. Hoch in einem Berg befindet sich die Besuchsstätte von Duzgîn Baba (Düzgün Baba). Kurdische Alevit*innen kommen hier zusammen, verteilen Essen und Niyaz (heiliges Brot), zünden Kerzen an, beten dabei zu Duzgîn Baba und Hizir, singen Lieder, die die leidvolle Geschichte von Dêrsim erzählen und weinen dabei gemeinsam.

„Jedes Unkraut wächst aus seiner eigenen Wurzel. Jeder Vogel singt in seiner eigenen Sprache. Wer seine Herkunft leugnet, wirft Staub auf seinen Weg und verschwindet auf seiner Spur“

Der Effekt dieser Besuche ist praktisch in jedem Augenblick des menschlichen Lebens präsent und hat verschiedene schutz-artige Funktionen. Die Besuche werden vollzogen, um sich bei der Natur für den Schutz und die Fruchtbarkeit der Menschheit zu bedanken. Die Wertschätzung beruht weitgehend auf der Loyalität gegenüber dem natürlichen Zyklus der Welt. Vor der Zwangskonvertierung der Dêrsimi Bevölkerung zu islamischen Zügen, basierte der Glaube zu einem signifikant großen Teil auf einer Naturverbundenheit, die bis heute ihre Wurzeln beibehält und ihre wichtige Rolle immer noch ausgelebt wird. Insbesondere in den älteren einheimischen Generationen, standen die Einwohner mit der Sonne auf, mit ihrem Gesicht und ihren Armen in ihre Richtung und „umarmen“ sie als Begrüßung und Zeichen der Dankbarkeit in ihrer Rolle für die Fruchtbarkeit des Landes und der Existenz der Menschen. Innerhalb des Duzgîn Baba Glaubens, liegt die zentrale Kraft der Welt nicht in einer Person oder einer höheren gottähnlichen Figur, sondern in der Natur und in jedem Individuum selber. Sie segnen ihre Bäume, ihre Sonne, ihr Wasser, ihre Erde, ihr Feuer und ihren Mond und glauben daran, dass es diese natürlichen Elemente und die Kraft von Duzgîn Baba und Hizir ist, die ihr Leben beeinflussen.

Auf der Spitze der Berge befindet sich die Gebetsstätte

Der Glaube ist an erster Linie panthetisch, dieser Begriff beschreibt ihre religionsphilosophische Lehre, in derer die Allheit des Seins an die Stelle eines Gottesbegriffes platziert wird und ist gleichzeitig heidnisch. Dies beschreibt ihre Sicht, nicht zu einer monotheistischen Religion zugehörig zu sein. Sie setzt sich stattdessen zusammen, aus ihrer Natur-Loyalität, ihr ausnahmsloser zwischen-menschlicher Respekt und der selbst-verwaltete Schutz der Stämme vor Gefahren.

Eine Hierarchielehre wird strikt abgelehnt, es herrschen keine Vorschriften oder „formalen“ Gesetze, wie die Religion ausgelebt werden sollte. Der Fokus liegt lediglich an der individuellen Selbstfindung, der Hilfsbereitschaft, der Gleichsetzung der Menschen und der progressiven Geschlechteregalität. Es existieren an keiner Stelle Geschlechts-Separatismen oder eine patriarchale Denkstruktur innerhalb der Religionsideologie. In gleicher Weise charakterisiert sich die Glaubensrichtung durch ihre Überzeugung der ebenbürtigen Stellung der Wissenschaft mit ihrer Religion. Generationsweise wird der Drang nach einem kritischen Denken und die Relevanz der progressiven Wissenschaft bestärkt. Die Religion darf keiner Lehre in dem Weg stehen, sondern sie nähren.

„Das Männliche und das Weibliche werden nicht in Frage gestellt, in der Sprache der Liebe ist alles, was Haqq geschaffen hat, in unseren Augen an seinem Platz, es gibt keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, der Mangel und die Unzulänglichkeit ist in euren Augen“

Kerzen werden angezündet, dabei gebetet und die heiligen Steine jeweils drei Mal als Danksagungsgeste geküsst

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen