Dêrsim – Im Fokus der Assimilationspolitik

Dêrsim, die als Widerstandshochburg in die kurdische Geschichte eingegangen ist, befindet sich heute in einem Prozess der intensiven Militarisierung, Verarmung, Bespitzelung und auf vielen Ebenen der Korrumpierung. Den Beginn dieser erzwungenen Umwandlung, die seitens des türkischen Staates seit Jahrzehnten umgesetzt wird, fing mit dem Dêrsim Massaker vom Jahr 1937/38 an, bei der, nach offiziellen Angaben, über 70.000 Kurd*innen auf grauenvolle Art und Weise ermordet wurden. Dieser Assimilierungsprozess erreicht mit jedem vergangen Jahr eine neue Qualität und wird durch verschiedene Kanäle umgesetzt.

Dêrsim ist und bleibt eine der zentralen Zielscheiben der türkischen Spezialkriegspolitik, die subtilere Assimilierungspraktiken von regimetreuen Einrichtungen mit einbegreift. Mit der politisch-gesellschaftlichen Korrumpierung der gesamten Bevölkerung wird die kurdisch-alevitische Weltanschauung und Kultur systematisch überschattet und vernichtet. Dies fängt bei den Bildungseinrichtungen an, inklusive der Schulen und Universitäten und endet bis hin zum Zwang von jedem Ladenbesitzer die türkische Flagge und ein imposantes Bild von Mustafa Kemal Atatürk, dem türkischen Staatsgründer und Verantwortlicher des Dêrsim-Massakers, aufzuhängen. Es werden methodisch türkische Lehrkräfte an allen Schulen eingesetzt, um eine strikt kemalistische, nationalistische und religiöse Propaganda innerhalb der jungen Generation zu verbreiten, um zukünftig diesen Status Quo aufrechtzuerhalten.

Täglich kommt es seitens der angesiedelten Polizisten und Soldaten zu Konsequenz-losen sexuellen Übergriffen an Frauen, Entführungen von Kindern, Umweltverschmutzungen und der Tötung von Tieren. Möglich wird diese Praxis nur durch die Belagerung aller Stadtteile und Bevölkerungszwangsumsiedlungen.

Aufgrund der massiven wirtschaftlichen Krise, der politischen Repression und der Perspektivlosigkeit, wandern seit dem letzten Jahrzehnt immer mehr junge Dersimis nach Kanada aus, wo sich mittlerweile eine große neue Dêrsimi Diaspora Bevölkerung gebildet hat. Zuvor war dieses Phänomen vermehrt nach Europa, beziehungsweise nach Deutschland gerichtet, was mit dem Gastarbeiterabkommen des Jahres 1955 zusammenhing. Durch die strafrechtliche Repression des türkischen Staates in den 70’er Jahren und der endgültige Militärputsch vom Jahr 1980, ließ vielen politischen Kurd*innen auf Grund der Massenverhaftungen keine andere Wahl als nach Europa auszuwandern. In der Provinz Dêrsim sind auf Grund dessen schätzungsweise lediglich 30.000 Einwohner, wobei sie allein in Europa als Exil-Gemeinschaft auf über 300.000 geschätzt werden.

Was jedoch vom letzten Jahrzehnt vor allem ins Auge sticht, ist die Auswanderung junger Menschen aus Dêrsim nach Kanada, wo sich mittlerweile eine neue große Diaspora gebildet hat. Grund hierfür ist die drastische wirtschaftliche Krise und Inflation, der Perspektivlosigkeit und der andauernden politischen Repression. Zuvor war dieses Immigrations-Phänomen vermehrt in Europa, beziehungsweise in Deutschland wieder zu finden, welches ebenfalls mit dem Gastarbeiterabkommen vom Jahre 1955 zusammenhing. Durch die strafrechtliche Repression des türkischen Staates in den 70’er Jahren und der endgültige Militärputsch vom Jahre 1980, ließ vielen politischen Kurd*innen keine andere Wahl als nach Europa auszuwandern, um den Massenverhaftungen und Folterpraxen zu entgehen.

Wir halten fest: Die junge Generation immigriert aus Dêrsim, die ältere Generation, die hauptsächlich noch die alevitisch-kurdische Kultur in sich trägt, stirbt nach und aus. Die Muttersprache der Provinz, Zazakî, vergeht in Vergessenheit und traditionelle Bräuche verlieren ihre Praxis und Relevanz. Was passiert nun?

Das Zusammenspiel der regimegesteuerten Zwangsassimilierung und die Immigration der jungen Generation ebnet den Weg für die gezielte Gentrifizierung der Stadt, welche im Laufe des letzten Jahrzehntes in den Außenbereichen anfing und sich langsam über die ganze Stadt verbreitete. Der Stadtteil Siyenk, welches zu Atatürk Mahalesi vom türkischen Staat umgeschrieben wurde, bildet den ersten Außenbezirk der Innenstadt. Hier findet man ausschließlich Neubauten, Hotels, Restaurants, Polizeistationen, Militärstationen und Parteibüros der AKP und MHP. Infolgedessen befinden sich hier mehrheitlich nur eingesiedelte Türk*innen; das heißt Familien der Polizisten und Militärangestellte, die in Dêrsim stationiert wurden.

Die Gefahr, die von dieser Praxis ausgeht, ist drastisch und verfolgt kein anderes Ziel, als die kurdische Bevölkerung, vor allem Frauen und anwachsende Altersgruppen, an türkisch Kulturgüter anzugleichen und die alevitisch- kurdische Kultur in Form von Akkulturation im Keim zu ersticken und verschwinden zu lassen. Deshalb unterliegen wir als diasporische Leser*innen der Verantwortung, die kurdische Kultur, die wir in uns tragen, weiterzuentwickeln, auszuleben, sie zu lernen und den kommenden Generationen weiterzugeben, um gegen die Assimilierungspraxis eine Gegenbewegung aufbauen zu können. Denn mit dem Verlust der Kultur folgt der Verlust der Identität.

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